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PENSIONIERUNG VON CHRISTIAN FANKHAUSER

ZUHÖREN UND AGIEREN WAREN MEIN LEITMOTIV

Mit der Pensionierung von Christian Fankhauser geht im SEV ein wichtiges Kapitel zu Ende. Der Vizepräsident und langjährige Gewerkschaftssekretär war einer derjenigen, der die Gewerkschaftspraxis kämpferischer machte und die Basis stärker mobilisierte. Wir ziehen Bilanz.

Das Abschiedsgespräch findet in seinem Büro in Bern statt, kurz vor dem Abschiedsapéro zu seinen Ehren und zu Ehren von Vincent Brodard und Res Etter, die ebenfalls in den Ruhestand gehen. Christian hat am 15. Dezember nach insgesamt 19 Jahren in der Gewerkschaft seinen letzten Arbeitstag beim SEV. Er begann seine Arbeit beim SEV an einem Wendepunkt. Christian hat mit seiner Dynamik, seinem trockenen Humor und seinem Kampfgeist einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, diese Wende in gute Bahnen zu lenken.

Christian, was war dein schönstes Erlebnis im SEV?

Es ist schwierig, ein einziges zu finden! Die Einführung des ersten Fragebogens zur Gesundheit am Arbeitsplatz für die Busbranche im Jahr 2010 war ein wichtiger Meilenstein für mich. Das ist zweifellos eine meiner schönsten Erinnerungen. Als ich eingestellt wurde, sagte man mir, dass ich so etwas wie «Mister Bus» sein werde. Damals besuchte die GATU, die ehemalige Branche Bus des SEV-Unterverbands VPT, internationale Treffen. Einmal kamen sie aus Bologna mit einem Fragebogen zu Gesundheit und Wohlbefinden zurück. Wir liessen uns davon inspirieren. Die Sorgen unserer Kolleginnen und Kollegen aufzunehmen und daraus Forderungen und Aktionen zu entwickeln, das war immer der rote Faden meines gewerkschaftlichen Engagements. Mein Ziel war es, diese Sorgen und deren Lösung in einem GAV erkennbar zu machen. Ich hoffe, dass unsere Kolleginnen und Kollegen auch die nächste Umfrage, die 2024 beginnen wird, beantworten werden.

Insgesamt warst du 30 Jahre gewerkschaftlich tätig. Welche Veränderungen hast du in der gewerkschaftlichen Arbeit erlebt?

Die gewerkschaftliche Arbeit in Form einer engen Zusammenarbeit mit unserer Basis hat sich sehr gut entwickelt. Als ich zum SEV kam, befanden wir uns an einem Wendepunkt. Die Bundesbetriebe veränderten sich. Der Beamtenstatus wurde aufgehoben und durch einen GAV ersetzt. Auf gewerkschaftlicher Ebene mussten wir uns anpassen und neu erfinden. Wir mussten nicht mehr bei der Politik Überzeugungsarbeit leisten, sondern bei den Arbeitgebern. Wir sind also von einer Gewerkschaft, die Lobbyarbeit leistet und ihre Mitglieder begleitet, zu einer Gewerkschaft geworden, die mit Arbeitgebern verhandelt. Das erfordert eine bessere Präsenz in der Fläche und ein offenes Ohr für die Arbeitnehmenden, die mobilisiert werden müssen, damit ihre Forderungen gehört werden.

Wie hat sich deine Beziehung zu den Arbeitgebern verändert?

Ich bin seit 2004 dabei. Bei den tl in Lausanne zum Beispiel war der Direktor damals noch ziemlich nah an den Arbeitnehmenden dran. Dann verschwanden diese Direktoren, weil sie von Grossprojekten wie der M2 in Beschlag genommen wurden. Man sah sie weniger. Sie übergaben den sozialen Dialog ihren Managern, den sogenannten «Human Resources». Ein abscheuliches Wort! Es bedeutete einen Paradigmen- und Diskurswechsel. Der «Personalchef» oder der «Direktor», der die Arbeitnehmenden noch kannte, verschwand. An dessen Stelle traten die Akademikerinnen und Akademiker mit ihren HSG-Abschlüssen (Anm. der Redaktion: Ökonom:innen der Hochschule St. Gallen). Plötzlich hörten wir neoliberale Floskeln wie «Effizienz» oder «Produktivität». Wir mussten uns plötzlich mit diesen HSGlern auseinandersetzen, für die das Personal nur noch Material, eine «Ressource» war! Es war nicht mehr das Gleiche.

Du hattest die Gabe, diese selbsternannten Experten in ihre Schranken zu weisen...

Tatsächlich! Bei tl hatten wir harte Lohnverhandlungen. Wir mussten die Lohnsysteme neugestalten. Und da präsentierte man uns einen «Experten», der für seine Lobeshymnen auf den Leistungslohn bekannt war. Er behauptete, das alte Lohnsystem würde die Drückeberger begünstigen, und nannte diejenigen, die gegen Leistungslöhne waren «Mittelmässige» und «Anachronisten». Obwohl Leistungslohn beim Buspersonal völliger Unsinn ist. Also sagten wir zu ihm: «Sehr geehrter Herr, die Mittelmässigen begrüssen Sie.» Wir schauten ihn während der ganzen Präsentation nicht an. Am Ende fragte ich die Personalchefin, ob der Experte seine Rede beendet habe, und ob wir nun anfangen könnten zu diskutieren. Er war wie betäubt. Diese Situation zeigt, wie wir als starke Gewerkschaft einem solchen Technokraten gegenübertreten können. Dieser Mann hat seine ganze Strategie auf dem Diskurs der angeblichen Drückeberger aufgebaut. Und sie ging nicht auf.

Die Grösse der Unternehmen hat sich in den letzten 19 Jahren stark verändert?

Ja, viele Familienunternehmen mit einem paternalistischen Management wurden zu KMU. Die Vergrösserung machte es komplizierter, Fahrpläne und Dienstpläne zu entwickeln. Plötzlich hatte man 150 statt 50 Mitarbeitende. Zwischenmenschliche Beziehungen litten unter den neuen Strukturen. Einige Unternehmen wuchsen zu schnell und das brachte Chaos mit sich.

Hätte sich der «Junge aus Tramelan», der du einst warst, diesen Werdegang vorstellen können?

Nein, ich habe mir nie so etwas vorgestellt. In dem kleinen Dorf, in dem ich aufwuchs, waren die Aussichten, eine weiterführende Schule zu besuchen, stark eingeschränkt. Ich durfte nicht in die Sekundarschule. Zuerst wollte ich Koch werden. Dann habe ich es mir anders überlegt. Was sollte ich tun? Ich habe zwei linke Hände. Also machte ich eine Berufslehre zum kaufmännischen Angestellten. Dann wurde ich interner Revisor für die Romandie bei der FOBB, der Gewerkschaft der Holz- und Bauindustrie. Dort öffnete sich die Welt der Gewerkschaften. Trotzdem habe ich dann noch einen Abstecher zu IBM gemacht, um zu sehen, wie es ist, in einem multinationalen Unternehmen zu arbeiten. Ich bin dann aber sehr schnell gegangen!

Wie hast du den Wechsel vom Regionalsekretär zum Vizepräsidenten erlebt?

Das war ein Schock! Ich hatte 14 bis 15 Jahre lang diese Arbeit als Gewerkschaftssekretär gemacht. Ich war 56 Jahre alt und bereit dazu. Der Schock war vor allem, dass nur drei Monate, nachdem ich angefangen hatte, das Coronavirus kam. Es war nicht einfach, die Belegschaft unter diesen Umständen zu führen. Die Leitung war für den Schutz der SEV-Mitarbeitenden verantwortlich. Ich hatte nicht geahnt, wie viel Energie das erfordert. Man wechselt die Rolle. Ich habe auch viel gelernt. Ich habe das deutschsprachige Gewerkschaftswesen kennengelernt. Es gibt Unterschiede, aber wenn man mit den Leuten diskutiert und eine klare Sprache spricht, sind unsere Leute überall bereit, sich zu mobilisieren. Ich bin sehr optimistisch für die Zukunft.

Warum gehst du bereits jetzt in Pension?

Ich habe das Glück, eine gute Pensionskasse zu haben, die es mir ermöglicht, vom «aufgeschobenen Lohn» zu profitieren. Beim SEV kann man mit 60 Jahren in Rente gehen. Die Krankheit von Valérie Solano, meiner besten Freundin in der Gewerkschaft, hat mich sehr getroffen. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet. Abgesehen vom Lesen hatte ich fast keine Hobbys. Meine Lebensgefährtin ist jetzt im Ruhestand und es sind wichtige Jahre, die vergehen. Also habe ich mich für diesen Schritt entschieden.

Hast du Angst, dass du dich im Ruhestand langweilen wirst?

Nein! Ich freue mich auf die kontemplative Phase, die jetzt kommt. Ich werde auf Entdeckungsreise gehen und lernen, Vögel zu erkennen. Ich habe mich immer für Fotografie interessiert. Ich hoffe, dass ich wie der französische Tierfotograf Vincent Mugnier «das Unsichtbare fotografieren» kann. Der Murtensee, wo ich wohne, scheint mir dafür hervorragend geeignet.

Yves Sancey und Michael Spahr