PERSONALMANGEL
«JEDER ABGANG IST EIN VERLUST AN KNOW-HOW»
Wie knapp ist das Personal aktuell bei SBB und SBB Cargo? Und was ist dagegen zu tun? Die SEV-Zeitung hat bei den Gewerkschaftssekretären Jürg Hurni, Urs Huber, Philipp Hadorn und Angelo Stroppini nachgefragt.
In welchen Bereichen bzw. Berufen ist der Personalmangel am stärksten?
Beim Personenverkehr SBB fehlen zurzeit schweizweit Kundenbegleiter:innen. Zwar laufen mehrere Ausbildungsklassen, «doch auch wenn diese Kolleg:innen im August fertig ausgebildet sein werden, wird es weiterhin einen Unterbestand geben», sagt Gewerkschaftssekretär Jürg Hurni. Fachkräftemangel gibt es vielerorts beim Rollmaterialunterhalt – und in den Werken viele Langzeit-Temporäre, die endlich festangestellt werden sollten, ebenso in der Wagenreinigung. Dort ist das Personal mancherorts knapp, wie auch im Rangierbereich. Und bei der Transportpolizei ist der Stellenetat zu tief angesetzt, sodass zum Beispiel im Sommer, wenn an mehreren Wochenenden hintereinander landauf, landab viele Grossanlässe stattfinden, Transportpolizist:innen fehlen.
Bei der Infrastruktur gibt es im Bereich Bau und Unterhalt viele spezialisierte technische Berufe, die vom generellen Fachkräftemangel in der Schweiz stark betroffen sind. Denn viele dieser Fachleute finden ausserhalb der Bahn attraktive Arbeitsplätze mit höheren Löhnen und ohne Schicht-, Nacht- und Wochenend-arbeit. Einen chronischen Mangel gibt es zum Beispiel seit Jahren bei den Fahrleitungsmonteuren. Die Lage bei den Fachleuten für Sicherungsanlagen ist ebenfalls kritisch. Viel Spezialwissen brauchen auch Projektleiter:innen und Ingenieur:innen – es wird ja zudem meist unter laufendem Betrieb gearbeitet. «Jeder Abgang ist ein Verlust an Know-how», betont Gewerkschaftssekretär Urs Huber. «Deshalb muss die SBB nicht nur verstärkt rekrutieren, sondern sich auch verstärkt darum bemühen, dass bestehende Mitarbeitende bei ihr bleiben.» Eine chronische Knappheit besteht zudem bei den Lokführenden B100, auch weil andere Bahnen und Gleisbaufirmen zum Teil erheblich höhere Löhne bezahlen. «Dass die SBB zum Beispiel in Erstfeld seit Jahren dauernd B100-Lokführer mieten muss, kommt sie auf Dauer viel teurer zu stehen als attraktivere Löhne, zahlt sie für einen Mietlokführer doch massiv mehr als für einen eigenen», ergänzt Huber. Auch im Bahnmonopolberuf der Zugverkehrsleitenden fehlen an diversen Standorten Leute, trotz aller Rekrutierungsbemühungen.
Bei Cargo fehlen – neben B100-Lokführenden – vor allem im Rangierdienst Leute in diversen Funktionen. «Ursachen dafür sind die langjährige Zurückhaltung bei der Personalrekrutierung – bedingt auch durch die unklare Zukunft des Unternehmens – und laufend viele Ausfälle. Denn wo Personal fehlt, steigt die Belastung und damit die Zahl der Ausfälle wie auch der Abgänge, das ist ein Teufelskreis», sagt Gewerkschaftssekretär Philipp Hadorn. «Zwar bemüht sich SBB Cargo heute mit verschiedenen Anreizsystemen darum, die Jobs attraktiver zu machen, ist aber auf dem Arbeitsmarkt mit den heute gültigen Arbeits-bedingungen kaum wirklich konkurrenzfähig. Ein besonderes Problem ist die unregelmässige Schichtarbeit. Die Bereitschaft, solche zu leisten, ist heute eingeschränkt, vor allem ohne ausreichenden Ausgleich in Form von Zeit und/oder Geld.»
Gibt es Regionen, die stärker betroffen sind als andere?
Im Raum Zürich und in anderen grossen Städten gibt es viele andere Anstellungsmöglichkeiten. Das spürt SBB Cargo zum Beispiel im Rangierbahnhof Limmattal. Die Infrastruktur sucht auch in der Region nördlich des Gotthards (Uri) chronisch Personal.
Hat sich die Situation in den letzten Jahren verbessert?
Grundsätzlich nicht, die vielen Pensionierungen bleiben eine grosse Herausforderung. Beim Lokpersonal des Personenverkehrs SBB konnte der Bestand dank eines grossen Rekrutierungs- und Ausbildungsefforts ungefähr aus-geglichen werden. Doch er ist an einzelnen Standorten weiterhin zu tief und reicht generell noch nicht, um die angehäufte Mehrzeit abzubauen. «Es ist schade, dass in anderen Kategorien kein gleich grosser Rekrutierungseffort geleistet wurde», bedauert Jürg Hurni. Die Infrastruktur hat letztes Jahr zwar viele neue Leute rekrutiert, doch gibt es weiterhin viele Abgänge und damit Know-how-Verlust, während neue Mitarbeitende in vielen Funktionen Jahre brauchen, bis sie richtig eingearbeitet sind.
Was kann/soll die SBB gegen den Personalmangel tun?
Sie muss überall vorausschauend genug Personal rekrutieren, statt Abgänge erst zu ersetzen, wenn die Leute schon gegangen sind. Sie muss auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig sein dank attraktiven Anstellungs- und Arbeitsbedingungen – vor allem auch für bestehende Mitarbeitende, damit diese nicht abwandern. Das heisst konkret: konkurrenzfähige Löhne, attraktive Kompensationen für Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit, mehr Mitwirkung bei der (zeitlichen) Einsatzgestaltung, mehr eingeplante Reservestellen, denn Personalmangel führt zu Überlastung und Ausfällen aus gesundheitlichen Gründen, Unfällen und Abgängen aus Unzufriedenheit. Viele Frauen und Männer möchten Teilzeit arbeiten können, im Sinne der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Gegen die Überlastung der Projektleitenden wünscht sich Urs Huber (neben mehr Personal): «Die SBB muss der Politik klarmachen, dass sie nicht beliebig viele Projekte bewältigen kann. Es gibt zu wenig Ressourcen, um jede zusätzliche Idee ohne Priorisierung bearbeiten zu können.»
Darf und soll die SBB auch Arbeitskräfte im Ausland rekrutieren?
«Zunächst müsste analysiert werden, ob die betreffenden Anstellungsbedingungen noch attraktiv sind, was nicht immer der Fall ist», sagt der Tessiner Regionalsekretär Angelo Stroppini. «Wenn ausländisches Personal eingesetzt werden muss, muss verbindlich der GAV SBB / SBB Cargo für alle Angestellten gelten», unterstreicht Stroppini. «Der Einsatz von Temporärkräften zur Bewältigung von Arbeitsspitzen ist verständlich. Nicht zu rechtfertigen ist hingegen ein Einsatz über mehrere Jahre, wenn die Voraussetzungen für eine Festanstellung eigentlich gegeben wären.»
Markus Fischer